C. Pfaff: Nonnen streben nach Autonomie

Titel
Nonnen streben nach Autonomie. Das Frauenkloster Engelberg im Spätmittelalter


Autor(en)
Pfaff, Carl
Erschienen
Zürich 2011: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

Das vorliegende Buch des emeritierten Freiburger Lehrstuhlinhabers für mittelalterliche Geschichte (1969–1997) ist eine monographische Studie zum Nonnenkonvent Engelberg, der bis zu seiner Verlegung nach Sarnen (1615) zusammen mit der Engelberger Männerabtei ein Doppelkloster bildete und der in der älteren Forschung im Schatten des Männerklosters stand. Die in zwei deutlich voneinander abgehobenen Teilen (A und B) angelegte Arbeit setzt in Teil A mit der Gründung und der frühesten Geschichte des Konvents ein und führt diese bis ins 15. Jahrhundert fort, wobei der Verfasser schon bald den Finger auf einen neuralgischen Punkt legt, nämlich auf die «frühe und permanente Verarmung des Klosters», die auf seine «schwer verständliche personelle Überbesetzung» zurückzuführen sei (20). So ist zu Beginn des 13. Jahrhunderts von vierzig Mönchen und nicht weniger als achtzig Schwestern die Rede, während 1361 der Engelberger Abt Rudolf von Stühlingen sogar von zweihundert Nonnen spricht, die den Konvent vor der Pest bewohnt haben sollen. Die den Engelberger Äbten unterstellten Meisterinnen hätten denn auch Massnahmen ergriffen, um das Los der unter ihrer Obhut stehenden Benediktinerinnen zu lindern – so 1305, als es eine Meisterin «wagte», «was bisher noch nie geschehen war», sich bei Papst Clemens V. über die ungenügende Versorgung des Konvents zu beklagen (21). Weshalb ein solcher Schritt hervorzuheben ist, erschliesst sich einem, wenn man bedenkt, dass solche «Aktionen rechtlich nur durch den Abt [...] vollziehbar» waren und dass «die strikte Klausur und die mangelnde rechtliche Qualifikation ihrer Meisterin die Frauen hinder[t]en, eigene Initiativen zu ergreifen» (22). Nichtsdestotrotz häuften sich in der Folge derartige Vorstösse, indem die Meisterinnen, denen im Grunde genommen «nur eine beschränkte interne Befugnis zugesprochen wurde» seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts «neben dem Abt als quasi rechtlich eigene Grösse in Erscheinung [traten]» (38–39).

Resultate dieser Initiativen waren ver-schiedene Massnahmen zugunsten der Schwestern, beginnend mit der Inkorporation einer Pfarrkirche, die Clemens V. 1305 allein an die Meisterin und die Schwestern adressierte, und einer Stiftung von fünf Mark Silber, die Königin Elisabeth 1307 ausdrücklich der Verfügungsgewalt des Engelberger Abts entzog. Als weitere Gönnerin der Schwestern ist Elisabeths Tochter Agnes, Witwe König Andreas’ von Ungarn, belegt, die 1325 Engelberg einen Besuch abstattete. Der Verfasser vermutet, dass diese Gunstbeweise samt «den rigorosen, den Abt demütigenden Auflagen» (42) auf Bitten zurückgehen, welche die Meisterinnen direkt an den Papst bzw. an die beiden Königinnen gerichtet hatten.

Wieweit dieser Handlungsspielraum, den sich die Meisterinnen schaffen konnten und der dazu diente, die Lebensgrundlagen der Schwestern zu verbessern, mit dem im Titel eingeführten Begriff «Autonomie» erfasst werden kann, wäre zu diskutieren. Dies um so mehr, als er suggeriert, es habe – wie Stefan Hynek in seiner Online-Rezension (H-Soz-u-Kult, November 2011) bemerkt hat – «eine gezielte Bestrebung des Nonnenkonvents gegeben, sich aus dem Doppelkloster zu lösen, um ein autonomes Frauenkloster anzulegen». Jedoch kann eine solche Absicht «nicht belegt werden, da Schlüsseldokumente, die derartige Bestrebungen der Nonnen belegen könnten, etwa die Bittschriften an Papst und Königin, fehlen».

Wir können an dieser Stelle nicht alle im Buch angesprochenen Facetten der Klostergeschichte erwähnen, doch sei wenigstens auf eine weitere wichtige Komponente verwiesen: das Beziehungsnetz des Frauenklosters. So sehr die Nonnen auch auf ihre Beziehung zu Gott konzentriert waren – ganz ohne menschliche Aussenkontakte ging es nicht. Der Verfasser spürt diesen Kontakten anhand der klösterlichen Memoria nach, indem er die Stifter identifiziert, deren die Schwestern im Gebet gedachten. Die wissenschaftliche Kärrnerarbeit, die dieser Analyse zugrunde liegt, geschieht in Teil B des Buches, dem im mancherlei Hinsicht der Charakter eines Anhangs zukommt. Dort sind die Stifter nach einem sozialgeschichtlich-topographischen Raster erfasst und identifiziert. Diese Angaben bilden das Fundament für den darstellenden Teil A, in dem mit unterschiedlichem Erfolg der Frage nachgegangen wird, weshalb denn die einzelnen Stifter ausgerechnet die vergleichsweise abgelegenen Engelberger Nonnen bedacht haben. Etwas befremdend wirken die in diesem Teil zu beobachtenden Digressionen – z.B. zur Verfassungsgeschichte und Territorialpolitik der einzelnen Städte, aus denen Stifter stammten – deren Zusammenhang mit der Engelberger Thematik nicht immer einsichtig ist.

Kurz: Carl Pfaff legt mit «Nonnen streben nach Autonomie» einen für die Aufarbeitung der Engelberger Geschichte wichtigen Band vor, der zum Weiterdiskutieren animiert.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Carl Pfaff, Nonnen streben nach Autonomie. Das Frauenkloster Engelberg im Spätmittelalter, Zürich, Chronos Verlag, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 545-546.